Der Begriff Autismus lässt sich bereits im Jahr 1911 bei dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler finden, der damit die Symptome der starken Zurückgezogenheit sowie Selbstbezogenheit bei einer Schizophrenie bezeichnete (Girsberger, 2021). Erst in den 1940er Jahren nahmen der Wiener Kinderarzt Hans Asperger und der amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner den Begriff unabhängig voneinander wieder auf (Asperger, 1938; Kanner, 1943) und wandten diesen auf Kinder mit einem stark beeinträchtigtem Sozial- und Kommunikationsverhalten an.
Autismus wurde lange Zeit sehr eng gefasst und dementsprechend als äußerst selten vorkommend eingestuft. Das wissenschaftliche Verständnis hat sich jedoch dahingehend verändert, dass Autismus heute als ein Kontinuum bzw. Spektrum betrachtet wird, das von der Normalbevölkerung stufenlos bis zum schwer betroffenen Individuum reicht (Girsberger, 2021). Die Wissenschaft hat auch gezeigt, dass es sich bei Autismus um eine neurologische Entwicklungsstörung handelt, welche sowohl durch genetische als auch durch umweltbedingte Faktoren beeinflusst wird (Hodges, Fealko & Soares, 2020). Anders gesagt unterscheiden sich die Gehirne autistischer Menschen von denen nicht-autistischer, sodass sich unter anderem eine andere Verarbeitung von Umweltreizen bzw. eine andere Wahrnehmungsverarbeitung sowie Denk- und Lernstile ergeben.
Entsprechend dem Begriff eines Spektrums gibt es viele verschiedene Formen des Autismus, wodurch sich autistische Menschen stark voneinander unterscheiden können. Gemeinsam haben sie jedoch, dass sie häufig Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie eingeschränkte, sich wiederholende Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten zeigen, welche deshalb auch die drei Kernsymptome darstellen (Kamp-Becker & Bölte, 2021). Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung dieser drei Merkmale kann es einerseits sein, dass Eltern bereits früh das Gefühl haben, ihr Kind würde anders auf seine Umwelt reagieren als gleichaltrige Kinder. Andererseits ist es möglich, dass erst im Erwachsenenalter die Diagnose gestellt wird, weil es beispielsweise zu Schwierigkeiten im Beruf oder in der Partnerschaft kommt.
Autismus ist nicht heilbar und sollte nicht als Krankheit angesehen werden. Die vorhin erwähnten Kernsymptome und die andere Art der Wahrnehmungsverarbeitung können jedoch im Alltag beispielsweise zu einem erhöhten Stresserleben, zu Ausgrenzung und vermehrten Konflikten in sozialen Beziehungen führen (Girsberger, 2021). Verschiedene Therapieprogramme können autistische Menschen unter anderem dabei unterstützen, soziale Kompetenzen zu erlernen, ihre eigenen Emotionen zu erkennen und effektiver damit umzugehen sowie ihre Stärken im Alltag zu nützen.
Neben dem wissenschaftlichen hat auch das gesellschaftliche Interesse an dem Thema Autismus in den letzten Jahren enorm zugenommen. So gibt es 1,780.000 Videos auf YouTube und im Internet lassen sich mehr als 4 Millionen Einträge unter dem Begriff finden (Kamp-Becker & Bölte, 2021). Immer mehr berühmte Personen mit Autismus, wie beispielsweise der Tesla-Chef Elon Musk, nützen ihre Reichweite, um zu zeigen welche einzigartigen Eigenschaften, Fähigkeiten und Talente sie gerade deshalb besitzen.
Literatur:
Asperger, H. (1938). Das psychisch abnorme Kind. Wiener Klinische Wochenschrift, 49, 1314-1317.
Girsberger, T. (2021). Die vielen Farben des Autismus: Spektrum, Ursachen, Diagnose, Therapie und Beratung. Kohlhammer Verlag.
Hodges, H., Fealko, C., & Soares, N. (2020). Autism spectrum disorder: definition, epidemiology, causes, and clinical evaluation. Translational pediatrics, 9, S55.
Kamp-Becker, I., & Bölte, S. (2021). Autismus. UTB.
Kanner, L. (1943). Autistic disturbances of affective contact. Nervous child, 2(3), 217-250.